- Hessische Anguszucht im nationalen Blickfeld
Das jährliche Züchtertreffen der Anguszüchter aus ganz Deutschland, verbunden mit der Mitgliederversammlung des Bundesverbandes der Angushalter, wurde dieses Jahr von der Interessengemeinschaft Angus Hessen ausgerichtet. Nachdem die hessischen Mitglieder in den zurückliegenden Jahren bei allen Veranstaltungen auf nationaler Ebene einen sehr starken Eindruck hinterlassen haben, war von einem großen Interesse seitens der Züchterkollegen aus allen Teilen Deutschlands auszugehen. Die Auswahl von Dodenau im oberen Edertal als Standort für die Mitgliederversammlung und den Züchterabend erwies sich als absolut richtig, denn dort konnten die mehr als 160 Gäste aufgrund der Übernachtungskapazitäten in den Gaststätten und Pensionen gut untergebracht werden. In der unmittelbaren Nähe fand der Start zum Besichtigungsprogramm statt: Die Unternehmensgruppe Viessmann, einer der Marktführer für Heizungssysteme mit weltweiter Bedeutung, öffnete seine Tore für die Züchtergruppe. Neben der Führung durch die Ausstellungen und Werkshallen war die Präsentation der Umtriebsplantagen und deren Nutzung für energetische Zwecke von besonders großer Bedeutung für die Landwirte aus den verschiedenen Regionen. Als zweiter Schwerpunkt ist inzwischen eine Biogasanlage dazu gekommen, die als Trockenfermentation betrieben wird. Neben den Silagen ist Festmist ein wichtiger Energielieferant, der über den Wasser- und Bodenverband angeliefert wird.
Als erster Besichtigungsbetrieb stand im Anschluss daran die Adresse von Marc und Holger Born in Dodenau auf dem Programm. Dort wurde in den letzten 10 Jahren eine Angusherde aufgebaut, die für diese schwierigen Standortbedingungen (flachgründiger Schieferverwitterungsboden, niedrige Temperaturen und häufig fehlende Niederschläge durch den Regenschatten des Rothaargebirges) eine hervorragende Alternative für die Bewirtschaftung des Grünlandes darstellt. Da beim Herdenaufbau mehrfach die Gelegenheit zum Ankauf hervorragender Tiere aus anderen hessischen Zuchtbeständen genutzt wurde, stellten sich auch schon frühzeitig herausragende Erfolge bei züchterischen Veranstaltungen für Marc und Holger Born ein. Spitzenplatzierungen wie der Landessiegertitel für den ehemaligen Herdenbullen Take Swiss oder der Siegertitel bei der Körung für die Bullen Danny Boy und Elano haben maßgeblich zum Bekanntheitsgrad des Betriebes beigetragen. In der letzten Zeit wurde der züchterische Schwerpunkt auf die Nutzung von AA-Genetik aus Dänemark und England verlagert. Der aktuelle Kälberjahrgang stammt von den Herdenbullen Dateline 1275 und Transnic ab, die dänischen Ursprung haben. Über diesen Weg ist die Genetik von zwei weltweit enorm erfolgreichen Blutlinien der gesamten Anguszucht in dem Betrieb Born integriert worden. Der erste Absetzerjahrgang sieht absolut vielversprechend aus und auch in der Gruppe der jungen Kühe und Rinder waren eine Reihe hochinteressant gezogener Tiere zu sehen. Die aktuelle züchterische Entwicklung der Herde Born lässt erwarten, dass von diesem Betrieb in der nächsten Zukunft mehrfach hochinteressante und leistungsstarke Genetik mit AA-Standard auf dem Zuchtviehmarkt angeboten werden kann.
Die Besichtigung wurde mit der Vorstellung der Bischoff PTR in Neukirchen fortgesetzt, wo die Geschäftsführerin Alexandra Trümner zunächst das Gesamtkonzept des Betriebes präsentierte. So stellt die Betreuung der Angusherde einen Schwerpunkt bei der Arbeit mit den in Pflege oder Therapie befindlichen Patienten dar. Der ausgeglichene Charakter der Angusherde ist dafür eine wichtige Voraussetzung, wie Betriebsleiter Martin Schütterle bei der Präsentation der Herde erklärte. Die gesamte Betriebsfläche von über 100 ha Grünland, dabei häufig schwierige Standorte am Rande des Knülls, wird mit über 52 Anguskühen mit kompletter Nachzucht optimal verwertet. Den Schwerpunkt der Herde stellten in den zurückliegenden Jahren bekannte Vererber wie die beiden Hessensieger Game One und Garibaldi dar und deren Nachfolger Milan, Tacitus und Taylor standen durchweg in der Spitzengruppe der hessischen Angusbullen nach Leistungsvererbung. Die aktuellen Herdenbullen Limited Edition 1070, Fully Louded 1160 und New Year, allesamt im Gemeinschaftsbesitz mit dem Betrieb Heinz, Wehrda, führen weltweit sehr erfolgreiche Blutlinien in ihren Pedigrees, von deren Nachzucht deutliche Impulse in allen wichtigen Rassemerkmalen erwartet werden können. Dazu kommt die Nutzung von bekannten Vererbern über die künstliche Besamung wie Peter Pershore, Red Eagle oder Cowboy Cut.
Damit ist im kommenden Absetzerjahrgang eine Vielzahl an sehr vielversprechenden Pedigreekombinationen enthalten. Besonders interessiert waren die Besucher an den in der letzten Zeit ergänzten Färsen mit hochinteressanten Abstammungskombinationen aus der britischen AA-Population. Mit dieser Genetik erhofft sich der Betrieb Bischoff den Marktzugang zu allen international bedeutsamen Standorten der Anguszucht. Neben der aktiven Zuchtviehvermarktung stellt die Ausmast der Bullen im eigenen Betrieb auf Grünlandbasis einen weiteren Schwerpunkt im Gesamtkonzept des Zuchtbetriebes Bischoff dar. Neben der Verwertung im eigenen Betrieb wurde mit Erfolg eine Vermarktung für Wurstwaren und Edelteile an Kunden in einem weiteren Umfeld des Betriebsstandortes aufgebaut.
Bei der Fahrt über den hohen Vogelsberg, mit seinem weiträumigen, oft durch Hecken unterteilten Grünland, wurde den Besuchern aus vielen Regionen Deutschlands sehr gut verdeutlicht, dass die Mutterkuhhaltung heute einen ganz wesentlichen Anteil an der Aufrechterhaltung der Grünlandbewirtschaftung unter diesen Standortbedingungen hat. So wurde auf den Betrieben Werner Rücklinger, Karl-Heinz Möser und Artur Ruppel im Schottener Stadtteil Eschenrod über mehr als 20 Jahre hinweg ein ökologisch bewirtschafteter Grünlandbetrieb aufgebaut, dessen Schwerpunkt die rote Angusherde darstellt. Bei der Besichtigung der beiden Herden in der unmittelbaren Nähe des Stalles wurde den Besuchern schnell klar, dass hier über Jahre hinweg mit absolutem Schwerpunkt auf rumpfige, sehr leichtfuttrige und leistungsfähige Kühe selektiert wurden. Bekannte Vererber wie Kohler, Glenno oder Giovanni haben diese Herde nachhaltig geprägt und die Nutzung von Top-Vererbern aus der Besamung wie Harker oder Red Label hat die genetische Basis erweitert.
Zu den größten Erfolgen der Zuchtgemeinschaft Ruppel/Rücklinger sind der Bundessiegertitel für die Färse Lesli und den in dem Betrieb gezogenen Vererber Gustel zu zählen, aber auch die aktuelle Landessiegerin Gaby, eine Kombination der bekanntenBullen Duplo und Compass, hinterließ auch auf der heimatlichen Weide einen sehr starken Eindruck. Zur Erweiterung der züchterischen Basis wurden in der letzten Zeit mehrere Tiere mit dänisch/canadischen Abstammungskombinationen ergänzt, die bei der Herdenbesichtigung stark beachtet wurden. Neben der Zuchtviehvermarktung, die in den letzten Jahren über die beiden Wege Auktion und Ab-Hof sehr erfolgreich betrieben wurde, stellt die Direktvermarktung einen weiteren wichtigen Betriebszweig dar. Die gesamte Betriebskonzeption mit den in unmittelbarer Hofnähe aufgestellten Herden hinterließ bei allen Besuchern einen nachhaltigen Eindruck und die speziell aus Dänemark angereisten Züchter konnten sich hier ein hervorragendes Bild für die Weiterentwicklung der bei ihnen erworbenen Tiere machen.
Mehr als 40 Jahre wird auf dem Hof von Karl Friedrich Flamme, Rhenegge, aktiv Anguszucht der roten Farbrichtung betrieben und eine große Zahl an Tieren aus diesem Zuchtbetrieb war auf Landes- und Bundesebene bei Ausstellungen sehr erfolgreich. Da in den zurückliegenden Jahren eine Vielzahl an Bullen aus dem Betrieb Flamme auch in außerhessischen Herden sehr gute Ergebnisse in der Nachkommenprüfung erreichte, war es nur zu verständlich, dass auch hier das Interesse an der Herdenbesichtigung außerordentlich groß war. Auch auf diesem inzwischen nach Biobedingungen geführten Betrieb sind durchweg sehr flachgründige Standorte vorhanden. Nichtsdestotrotz sahen die Besucher eine enorm ausgeglichene Herde an mittelrahmigen, rumpfigen Anguskühen mit besten Leistungseigenschaften. Unverkennbar war die Handschrift des Zuchtbetriebes zu sehen, die sich in der Ausgeglichenheit der vorgestellten Kühe und Rinder wiederfinden ließ. Nachdem über mehrere Jahre der Bundessieger Gustel die Herde geprägt hat, konnten sich die Besucher jetzt ein Bild der aktuellen Herdenbullen Primus (Landessieger 2012) und Gunnar machen.
Auch auf dem abschließend vorgestellten Zuchtbetrieb von Friedrich und Ingrid Sippel, Helmscheid, dominiert eindeutig die Farbe rot. Sicher etwas ungewöhnlich für die internationalen Gäste, unter denen auch der erstmalig bei einem deutschen Züchtertreffen anwesende schottische Präsident Russell Taylor zugegen war. Gerade für die ausländischen Gäste gab es viele neue Eindrücke in Hessen, sowohl in Dänemark als auch in England ist der Anteil an Biobetrieben auf absoluten Grünlandstandorten viel geringer als in Hessen. Auch auf dem Betrieb Sippel steht die Anguszuchtherde im Mittelpunkt und trägt deutlich zur optimalen Verwertung des Grünlandes bei. Dazu kommt die hervorragende Nutzung des in der Fruchtfolge anfallenden Ackerfutters, das auf diesem Biolandbetrieb produziert wird. Wenn heute eine sehr ausgeglichene, rassetypische Herde auf den Weiden rund um Helmscheid zu sehen ist, so ist es das Ergebnis einer konsequenten Selektion auf die wichtigen Rassemerkmale der Anguszucht wie Leichtfuttrigkeit und beste Verwertung des Grünlandes zur Aufzucht von sehr leistungsstarken Absetzern. In den zurückliegenden Jahren war die Adresse Sippel, Helmscheid, häufig in den Siegerlisten auf Landes- und Bundesebene zu finden.
Ein deutlicher Beweis für das züchterische Geschick, was hier bei der Auswahl der Tiere und Anpaarung in der Herde an den Tag gelegt wurde. Sowohl der im Gemeinschaftsbesitz gehaltene Bulle Gustel, als auch der aktuelle Vererber Banko sind als Bundessieger gelistet und die Prilo-Tochter Romanze konnte ebenfalls als Färse die nationale Siegerschleife erreichen. Neben der intensiven züchterischen Arbeit, zu denen auch die zahlreichen erfolgreichen Auftritte der Söhne Christian und Markus bei Jungzüchterwettbewerben zählen, wurde parallel eine Direktvermarktungsschiene für die nicht zur Zucht geeigneten männlichen Tiere aufgebaut. Die Züchterkollegen aus ganz Deutschland, angeführt von dem neu gewählten Vorsitzenden des BDAH Dietz Kagelmann aus Velpke, nahmen viele Eindrücke aus der hessischen Anguszucht mit und konnten die Bereitschaft der Betriebe zur aktiven Mitarbeit in der Zucht und Weiterentwicklung der Rasse deutlich erkennen. Das hessische Zuchtgebiet gehört seit Jahren zu den aktivsten Regionen über ganz Deutschland hinweg und die auf breiter Basis gezeigte Aktivität lässt erwarten, dass dieses auch in Zukunft der Fall sein wird.
Jost Grünhaupt, LLH Kassel